Backlash Betreuungsgeld?

Veröffentlicht am 03.08.2011 in Familie und Jugend

Das Betreuungsgeld bleibt ein familienpolitischer Rückschritt, der weder Wahlfreiheit stützt noch Geschlechtergerechtigkeit fördert.
Ab 2013 soll das Betreuungsgeld für Eltern eingeführt werden, die ihre Kinder nicht in staatliche Obhut geben wollen. Ist die "Herdprämie" ein Rückgriff in verstaubte Rollenklischees oder könnten Familien davon profitieren? Eine neue Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung [PDF, 250 KB] vergleicht die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in Deutschland mit dem Nachbarland Frankreich, von dem es sich lohnt zu lernen.
Im Frühjahr 2009 einigte sich die damalige große Koalition unter Druck der CSU darauf, ab 2013 ein Betreuungsgeld für Eltern einzuführen, die ihre unter dreijährigen Kinder nicht durch staatliche Bildungseinrichtungen betreuen lassen wollen.
Diese Forderung der CSU findet sich auch im Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Bundesregierung wieder. Die CSU beharrt trotz Widerständen seitens des Koalitionspartners und der Oppositionsparteien auf der Einführung des Betreuungsgeldes, auch bekannt als "Herdprämie". Sie schafft damit einen konservativen Gegenpol zum bereits initiierten flächendeckenden Ausbau der Kindertagesstätten.

Negative Folgen des Betreuungsgeldes
Viele Gründe sprechen gegen die Einführung eines Betreuungsgeldes. Zum einen wird dadurch der Zementierung altbekannter Rollenklischees Vorschub geleistet. Das Betreuungsgeld wird sich nicht explizit an Frauen richten, aber zum allergrößten Teil von Frauen in Anspruch genommen werden. Sie bleiben zu Hause und kümmern sich um die Kinder, während die Männer das Familieneinkommen verdienen. Es werden noch mehr Anreize geschaffen aus dem Berufsleben und damit aus einem finanziell unabhängigen Leben auszusteigen. Das Betreuungsgeld reiht sich damit in eine Reihe staatlicher Transferleistungen (Ehegattensplitting, Familienversicherung) ein, die alle ein und dasselbe Signal senden: "Bleib daheim und überlasse dem Mann die Erwerbsarbeit!" Die "Herdprämie" wird vor allem Einverdienerfamilien zugute kommen, da eine daheim leibt und sich um Kinder und Haushalt kümmern muss.

Gesellschaftlicher Nutzen
Zum anderen ist fraglich, was das Betreuungsgeld als Individualmaßnahme gegenüber Einzelpersonen gesellschaftlich verändern kann und soll. Infrastrukturmaßnahmen im Bildungswesen hätten einen höheren Mehrwert. Manuela Schwesig, stellvertretende Vorsitzende der SPD, vertritt ebenfalls diese Forderung: "Wir brauchen für unsere Kinder und deren Bildung mehr Ganztagskitas statt dieser unsinnigen Herdprämie." Sie ist dabei derselben Meinung wie die Arbeitgeber, die Investitionen in Bildungs- und Betreuungseinrichtungen fordern sowie Investitionen in Infrastrukturmaßnahmen statt Individualzahlungen. Der BDA bezog deutlich Stellung für frühkindliche Bildung und den quantitativen und qualitativen Ausbau von Kitas, vor allem für Kinder unter drei Jahren.

Heuchlerische Politik
Weiterhin bleibt offen, ob und inwiefern das Betreuungsgeld Kindern wirklich zugute kommt. 21 Verbände und Gewerkschaften gaben dazu am 4. Juli diesen Jahres eine Pressemitteilung heraus. Darin wird kritisiert, dass das Betreuungsgeld "im krassen Widerspruch zu allen bildungs- und migrationspolitischen Zielen, die die Bundesregierung zu haben vorgibt", steht. Das Betreuungsgeld stelle sozial schwache Familien vor die Wahl zwischen monatlich 150 Euro und Bildungs- sowie Förderungsangeboten für ihre Kinder. Würde das Geld stattdessen für den weiteren Ausbau von Kindertagesstätten eingesetzt, würde es mehr Menschen zugute kommen.
Daran schließt sich die Frage nach sozialer Gerechtigkeit an. Debatten um Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit wirken heuchlerisch, wenn durch die Einführung des von der CSU geforderten Betreuungsgeldes Kinder aus Nichtakademiker- und sozial schwachen Haushalten ein fairer Zugang zu Bildung erschwert wird.

Expertenkritik
Bei einer öffentlichen Anhörung zur geplanten Einführung des Betreuungsgeldes im Bundestag äußerten sich geladene Experten ebenfalls kritisch. Dr. Ute Sacksofsky, Professorin für Öffentliches Recht und Rechtsvergleichung in Frankfurt am Main, hält das Betreuungsgeld für nicht verfassungsmäßig, da es sowohl gegen den Grundsatz der Gleichberechtigung von Frauen und Männern als auch gegen den Grundsatz des Schutzes der Familie verstoße.
Ablehnend sprach sich auch der Magdeburger Professor für Angewandte Humanwissenschaften Dr. Michael Klundt aus. Das Betreuungsgeld verschärfe das Armutsrisiko für Frauen, da gerade Frauen in schlecht bezahlten Berufen oder Frauen in Teilzeit aus dem Berufsleben aussteigen, um in den Genuss des Betreuungsgeldes zu kommen. Ein späterer beruflicher Wiedereinstieg würde damit erschwert.

Situation in Frankreich
Ganz anders stellt sich die Situation in Frankreich dar. Ein Blick in unser Nachbarland lohnt sich um zu sehen, wie viele Dinge besser, praktischer und freier gelöst werden können. Die Situation in Frankreich ist zwar nicht perfekt, hinsichtlich der Vereinbarkeitsproblematik von Beruf und Familie ist das Nachbarland jedoch deutlich fortschrittlicher. Die Frauenerwerbsquote in Frankreich ist ähnlich der deutschen bei 76 Prozent. Jedoch stehen in Frankreich weitaus mehr Frauen mit Kindern in einem Vollzeitberuf als hierzulande. In Deutschland arbeitet die Hälfte aller erwerbstätigen Mütter in einem Teilzeitarbeitsverhältnis. In Frankreich hingegen arbeitet nur ein Fünftel aller erwerbstätigen Mütter in Teilzeit. Zudem sind die Französinnen beim ersten Kind durchschnittlich ein Jahr jünger und die Geburtenrate ist fast doppelt so hoch wie die deutsche.


Vergleich Deutschland - Frankreich (Bild: FES-Studie: Frauen auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland und Frankreich)

Gründe für die positive Situation in Frankreich sind vor allem die staatlichen Investitionen in Bildungsangebote und Infrastrukturen, die es Eltern erleichtern Beruf und Familie zu vereinbaren. In der französischen Politik wird Gleichstellungs- und Frauenpolitik parteiübergreifend als Querschnittsaufgabe verstanden. Das französische Vorbild basiert auf verschiedenen Maßnahmen.
Zunächst gibt es in Bildungspolitik umfassende staatliche und staatlich unterstützte und geförderte Betreuungs- und Bildungsangebote. Ab einem Alter von 10 Wochen können Kinder in staatlichen Krippen betreut werden, früher auch über private Tagesmütter. Ab dem dritten Lebensjahr besuchen 99 Prozent aller Kinder die Vorschule, mit der ein umfassendes Betreuungsangebot gewährleistet wird. Zu der besseren Situation von Müttern trägt zudem der allgemein garantierte gesetzliche Mindestlohn in Höhe von neun Euro pro Stunde bei, der für jede Beschäftigungsform gewährt wird.

Kulturelle Unterschiede
Entscheidend für die Rahmenbedingungen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind jedoch nicht nur politische Weichenstellungen, sondern ebenso kulturelle Normen und Werte.. In Frankreich ist die volle Erwerbstätigkeit von Müttern selbstverständlich, selbst wenn kleine Kinder vorhanden sind. In unserem Nachbarland gibt es ein anderes gesellschaftliches Verständnis von berufstätigen Müttern, entgegengesetzt zu dem Bild von arbeitenden Müttern, das hierzulande vorherrscht. Bei uns werden gerne Klischees wie die "karrieregeile Rabenmutter" bedient, was auch Andrea Nahles erfahren musste. In der französischen Sprache gibt es diesen Begriff nicht.
Anders gestaltet sich in Frankreich auch die Einstellung zur Kindererziehung. Es wird mehr Wert auf eine kollektive Kindererziehung gelegt, da dies für die Kinder bessere Entwicklungschancen beinhaltet. Zudem trägt eine kollektive Erziehung auch zur Schaffung von mehr Chancengleichheit bei, unabhängig von der sozialen Herkunft der Kinder und der bildungsmäßigen Förderung seitens der Eltern.

Fazit
Es bleibt zu hoffen, dass die Regierungsparteien Erleuchtung finden und die Einführung des Betreuungsgeldes verhindern. Das Betreuungsgeld bleibt ein familienpolitischer Rückschritt, der weder Wahlfreiheit stützt noch Geschlechtergerechtigkeit fördert. Manuela Schwesig schildert die sozialdemokratische Sicht auf das Thema: "Eine flächendeckend und qualitativ hochwertige Bildungsinfrastruktur ist die zentrale Voraussetzung für gleiche Chancen auf gute Bildung für alle Kinder und Jugendlichen. Ein sozial gerechtes und leistungsfähiges Bildungssystem braucht als tragende Säule eine gute frühkindliche Bildung und Betreuung. Das sorgt für mehr soziale Gerechtigkeit und stärkt zugleich den Wirtschaftsstandort Deutschland, weil nur so alle Potenziale genutzt und die Fachkräfte von morgen gewonnen werden können."

 

SPD Kreis Steinfurt

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